Mein grosser Freund Joe USA 1998 – 114min.

Filmkritik

Riesengorilla 1999: Haustier oder Monster?

Bruno Amstutz
Filmkritik: Bruno Amstutz

Haustier oder Monster? Das ist hier die Frage. "Mighty Joe Young" aus dem Hause Walt Disney versucht den Spagat zwischen harmlosem Tierfilm und Monsterspektakel. Regisseur Ron Underwood schickt einen Riesengorilla auf Erkundungstour nach Hollywood. Der herzensgute Affe ist dort ein alter Bekannter: "Mighty Joe Young" ist das Remake eines Stop-Motion Klassikers von 1949.

Tierforscher Gregg O'Hara (Bill Paxton) und Gorilla-Ersatzmutter Jill Young (Charlize Theron) wollen nur das beste für Joe, als sie ihn zum Schutz vor Wilderern aus den afrikanischen Pangani-Bergen in ein Tierreservat in Kalifornien transportieren. Joe ist mit fünf Metern Länge und 2000 Pfund Lebendgewicht ein gigantischer Gorilla und gerät deswegen ins Fadenkreuz geldgieriger Jäger, die den Schwarzmarkt mit Körperteilen seltener Tiere beliefern. Eigentlich sollte heutzutage jeder Zoologe wissen, dass man niemals grosse Tiere aus abgelegenen Gegenden in amerikanische Grossstädte verfrachten sollte, seien es mutierte Riesenechsen, Tyrannosaurier oder Riesengorillas. Die Tiere haben die unangenehme Eigenschaft, in jedem Film auszubrechen, eine Sightseeing-Tour zu machen, sich mit den berühmtesten Wahrzeichen der Stadt zu zeigen und auf dem Weg eine Spur der Verwüstung zu hinterlassen. Joe macht da keine Ausnahme. Als er Feinden aus alten Zeiten begegnet, sucht er das Weite.Als erstes besucht der Affe das Mann's Chinese Theatre und will sogar artig Eintritt zahlen. Der Hollywood Boulevard und die Fussabdrücke grosser Schauspieler dürfen nicht fehlen, und schliesslich sitzt Joe sinnierend im 'O' des berühmten 'Hollywood'-Schriftzuges. Für einmal muss nicht New York herhalten für die Zerstörungsfeldzüge wildgewordener Kreaturen. King Kong durfte als letzte Tat das Empire State Building besteigen. Weil aber Los Angeles nicht so berühmte Wolkenkratzer zu bieten hat, muss sich Mighty Joe mit einem Riesenrad als Klettergerüst begnügen.

Die Handlung von "Mighty Joe Young" stammt aus der Mottenkiste und spart nicht mit Klischees: Die Schurken sprechen alle ein Englisch mit ausländischem Akzent, Jill und Gregg treffen sich zu einem schüchternen Küsschen und der Riesengorilla erweist sich als Kinderfreund. Mighty Joe ist der politisch korrekte King Kong: Joe frisst keine Menschen, verschrottet nur Autos ohne Insassen und bekommt lediglich schlechte Laune, wenn arglistige Bösewichter ihn reizen. Als Monster gibt der Gorilla also wenig her, er ist zu gutherzig. Als sensibler Held wird der Affe dargestellt, sanft zu Frauen, aber etwas unkontrolliert im Umgang mit seinen Riesenkräften. Die Identifikation mit diesem Helden fällt aber schwer - wer möchte schon gern ein Gorilla sein?

Was den Film interessant macht, ist das technische Gewand. Regisseur Ron Underwood unternahm den ehrgeizigen Versuch, den realistischsten Gorilla der Filmgeschichte zu erschaffen. Das Resultat kann sich sehen lassen: Durch die Kombination von Computertricktechnik, einer hydraulischen "Animatronics"-Maschine und dem bewährten Mann im Gorillakostüm wirkt Joe tatsächlich sehr lebensecht. Der originale "Mighty Joe" von 1949 wurde noch mit Stop-Motion Technik animiert, von keinem geringeren als Special Effects Pionier Ray Harryhausen. Zusammen mit Terry Moore, der Hauptdarstellerin von 1949, stellte sich Harryhausen sogar für einen kleinen Gastauftritt im Remake zur Verfügung.

Die aufwendige Tricktechnik kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film wenig neues zu bieten hat. "Mighty Joe Young" ist Familienkino für den Sonntagnachmittag, irgendwo zwischen King Kong und Bambi. King Kong hätte kaum sein Leben für ein Kind aufs Spiel gesetzt. Dafür hätte Bambi niemals einen Mercedes Benz genussvoll zu einem Klumpen Schrott zerknautscht.

25.05.2021

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