Der Sohn Belgien, Frankreich 2002 – 100min.

Filmkritik

Besuch aus der Vergangenheit

Filmkritik: Marc Mair-Noack

Nach dem eher düsteren Film "Rosetta" erzählen die Brüder Dardenne mit "Le fils" die bedrückende Geschichte des Schreinermeisters Olivier, dessen Leben durch das Erscheinen eines jungen Lehrlings aus den Fugen gerät. Die beiden verbindet ein dunkler Punkt in ihrer Vergangenheit, der erst nach und nach ersichtlich wird. Der Film der belgischen Brüder besticht durch eine eindringliche Kameraführung, verlangt vom Zuschauer aber einiges an Ausdauer.

Meister Olivier (Olivier Gourmet) herrscht mit uneingeschränkter Autorität über seine Schreinerwerkstatt und seine Lehrlinge. Als er die Anfrage erhält, einen weiteren Jungen auszubilden, gerät seine Sicherheit ins Wanken, ohne dass die Zuschauer zunächst wissen, warum. Der Neue, Francis (Morgan Marinne), ist ein wortkarger Teenager, der sich sichtlich bemüht, seinen Meister zufrieden zu stellen. Olivier scheint von diesem Jungen mehr und mehr gebannt zu sein. Er verfolgt ihn durch die Gänge der Gewerbeschule, nach Feierabend durch die Strassen der Stadt, zuletzt sogar bis in seine Wohnung. Langsam wird deutlich, dass es vor allem Furcht ist, die der Lehrling in Olivier weckte.

Die Gebrüder Luc und Jean-Pierre Dardenne hatten nach über 50 Dokumentarfilmen mit "La promesse" und zuletzt mit "Rosetta" auch im Spielfilmbereich internationalen Erfolg gefeiert. Nach den düsteren Sozialdramen gehen die beiden mit "Le fils" nun andere Wege und beleuchten das Zusammentreffen zweier Menschen, die durch ihre Vergangenheit aneinandergefesselt sind.

Wie schon in "Rosetta" ist es vor allem die wackelige Handkamera, die den Zuschauer unmittelbar ins Geschehen wirft. Wenn sie Olivier ständig verfolgt und aus nächster Nähe beobachtet, verliert das Publikum ebenso den Boden unter den Füssen wie der Schreinermeister selbst. Olivier Gourmet passt dabei perfekt in die Rolle des undurchschaubaren, ebenso bärbeissigen wie verunsicherten Schreiners, was sich auch im Hauptdarstellerpreis in Cannes 2002 niederschlug.

Dennoch funktioniert "Le fils" nicht in allen Bereichen. Den Dardenne-Brüdern gelingt es nur stellenweise, die im Plot angelegte Spannung im Film spürbar zu machen. Die psychologischen Verwirrungen hätten ohne hastig zu wirken auch in 20 Minuten erzählt werden können, doch nun wird vom Zuschauer eine Menge Ausdauer verlangt, um die wirklich eindrucksvollen Szenen im zu langen Film aufzuspüren. Gerade die durch die Handkamera erreichte Unübersichtlichkeit verhindert nämlich einen kontinuierlichen Spannungsaufbau, denn wo es nichts zu verstehen gibt, entsteht auch keine Spannung. Erst nach der Hälfte des Films, als das Geheimnis um die Beziehung der beiden Hauptfiguren gelüftet wird, beginnt das Schicksal der beiden wirklich zu interessieren. Umso bedauerlicher, dass zuletzt jedoch mehr Fragen offen bleiben als beantwortet werden.

15.02.2024

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Kommentare

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vor 14 Jahren

Es passiert fast nichts in diesem Film, was äußerlich sichtbar ist, denn das eigentliche Drama spielt sich im Innern der Hauptfigur (Olivier Gourmet) ab. Lange Einstellungen, weitgehend ohne Worte dafür vielsagende, tastende Blicke und die Kamera sitzt dabei Olivier meistens fast im Nacken. Das Ganze spielt in einer nasskalten, unfreundlichen Umgebung. Es ist ein Versuch die innere Auseinandersetzung zwischen Vergeltung und Verzeihen sichtbar zu machen. Erst ganz allmählich wird in den wenigen, wortkargen Dialogen das zurückliegende Ereignis offenbart: der Vater, ein Ausbilder für Schreiner, trifft auf einen Azubi, der seinen Sohn ermordet hat. Als alles gesagt ist, kommt der Vater in eine Position, die der seines mordenden Lehrlings damals bei dem Verbrechen ähnelt. Und die Dardenne-Brüder finden eine Antwort auf die Frage nach Rache ja oder nein.Mehr anzeigen


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