My Zoe Frankreich, Deutschland, Grossbritannien 2018 – 100min.

Filmkritik

In den Fussstapfen von Frankenstein

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Julie Delpy verquickt einer Frau Trauer um ihre tote Tochter mit dem Dilemma der Reproduktionsgenetik. Sie punktet damit auf der ganzen Linie.

„Es gibt“, sagt Isabelle, "in keiner Sprache ein Wort für Eltern, welche ihr Kind verloren haben.“ Die Genforscherin lebt in Scheidung. Ihre Tochter Zoe pendelt zwischen ihr und ihrem Ex-Mann; Isabel und James liefern sich um die Ausformulierung für das geteilte Sorgerecht einen letzten heftigen Beziehungskampf. Derweil James, von Beruf Architekt, für Zoe stabile Zustände und einen geregelten Alltag für wichtig erachtet, ist die berufshalber oft abwesende Isabelle der Ansicht, dass der kerngesunden Siebenjährigen ein turbulentes Leben nicht schadet.

Dass das Verhältnis zwischen James und Isabelle schon seit Zoes Geburt angespannt ist, zeigt sich später. Da sitzen die beiden bangend im Wartezimmer der Berliner Uniklinik, wohin man die eines Morgens bewusstlos im Bett liegende Zoe gebracht hat. Von „wir geben unser Bestes“ über „gute Chancen“ bis zu „schweren Komplikationen“ dauert es wenige Tage: Man könne sich nun Zeit lassen, sagt der Arzt und meint weniger das Ausschalten der Körperfunktionen aufrechterhaltenden Maschinen, als die Unterzeichnung der Papiere zur Organfreigabe.

Bis hierher ist My Zoe ein typischer Julie Delpy-Film. Mit Delpy, die sich für Drehbuch und Regie ebenso verantwortlich zeichnet wie für die Produktion. Dabei spielt sie zugleich durchaus überzeugend die Hauptrolle dieser Frau, die beruflich durchstartet, mit Ex-Mann und neuem Freund gleich zwei Männer um sich arrangiert und ihrem Kind, das kluge Fragen nach der Big Bang-Theorie stellt, sich aber vor den Plüschtieren in seinem Zimmer fürchtet, selber komponierte Lieder vorsingt.

Kurz vor Zoes Tod hat Isabelle eine „naheliegende, aber verwerfliche“ Idee, wie es der Reproduktionsspezialist Dr. Thomas Fischer in seiner Klinik in Moskau später formuliert: Sie entnimmt Zoe beim letzten Besuch im Spital einige Hautzellen.

Julie Delpy greift in My Zoe einige brennend aktuelle, gesellschaftliche Themen auf. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau und das Kindeswohl im Scheidungsfall. Die Fortschritte der Reproduktionsmedizin und in Zusammenhang damit dringliche Fragen der Ethik. Beginnend als Familiendrama, wandelt My Zoe zwischendurch auf den Spuren von Doktor Frankenstein, fängt sich aber wieder auf. Ein kluger, cleverer, letztlich warmherziger Film, gedreht von einer Frau. Und wie der von Daniel Brühl gespielte Doktor Fischer süffisant weiss, kennt zumindest eine Sprache einen Terminus für Eltern, die ihr Kind verloren haben: das Hebräische.

20.11.2019

4

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