CH.FILM

Nachbarn Schweiz 2021 – 124min.

Filmkritik

Nachbarschaftshilfe gegen Hass und Verfolgung

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Aktuell wie eh und je. Der sechsjährige Kurdenjunge Sero erlebt in seinem Dorf an der syrisch-türkischen Grenze in den Achtzigerjahren, wie der nationalistische Staat, sprich die Assad-Diktatur, in den Alltag eingreift. Mano Khalils («Unser Garten Eden», «Der Imker») beschreibt in seiner Tragödie, wie Menschlichkeit in einer Welt von verordnetem Hass und Gewalt gleichwohl bestehen kann. Sehr sehenswert.

«Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt», so heisst es in Friedrich Schillers Schauspiel «Wilhelm Tell». Doch in unserem Filmfall «Nachbarn» ist der böse Nachbar ein böser Herrschaftsvertreter, sprich Lehrer im Auftrag des syrischen Diktators Assad. Als wahrer (guter) Nachbar erweist sich ein jüdischer Dorfbewohner, der hilft und in Frieden mit seinen arabischen und kurdischen Nachbarn leben möchte. Doch die repressive Obrigkeit verfolgt Minderheiten und Andersgläubige. Das ist der Hintergrund zum Spielfilm von Mano Khalil, der seit über zwanzig Jahren in Bern lebt. Seine Geschichte von gelebter Nachbarschaft basiert auf eigenen Kindheitserinnerungen: «Ich wurde in einem kurdischen Dorf in der Nähe der Stadt Kamishli in Syrien geboren. Dort hatte ich mit sechs Jahren meinen ersten Schultag. Meine Gefühle waren an jenem Tag eine Mischung aus Freude und Angst. Ich habe mich darauf gefreut, die Schule zu besuchen. und wie die Grossen Hefte und Bücher zu bekommen. Gleichzeitig machte mir das Unbekannte auch Angst. Gleich am ersten Tag verbot uns der Lehrer, Kurdisch zu sprechen. Ich blieb still.»Die Vorfreude auf die Schule war auch beim sechsjährigen Sero (Serhed Khalil) gross, bis er die Knute des neuen Lehrers (Jalal Altawil, der sich für die syrische Revolution engagierte und ins französische Exil gehen musste) spürte. Der duldete die kurdische Sprache nicht und benutzte den Rohrstock als Disziplinierungsinstrument. Der arabische Staat samt Diktator war (und ist) das Mass aller Dinge. Die Kinder wurden militärisch gedrillt und gezüchtet. Unter solchen Verhältnissen wuchs die Angst, wurde auch der kurdische Knabe diffamiert. Erzfeind war Israel, und die Knaben sollten einst gegen den Nachbarn ins Feld ziehen. Seros Familie war gefährdet und suchte Fluchtmöglichkeiten. Nahum (Jay Abdo) bat um Hilfe beim jüdischen Händler. Ein gefährliches Unterfangen.Auch wenn die Ereignisse über vierzig Jahre zurückliegen, sind sie bis heute aktuell: Repressalien, Verfolgung von Minderheiten, Militarismus, Hasspredigten sind bis heute in Syrien an der Tagesordnung. Mano Khalil beschreibt sehr sensibel, auch mal drastisch die nationalistischen, menschenfeindlichen Verhältnisse in einem Dorf-Mikrokosmos. Es gibt auch heitere, spitzbübische Momente, wenn beispielsweise dem Lehrer die Diktaturhuldigung in die Hose geht und das Führerporträt ein Opfer des Regens wird. Sein Spielfilm «Nachbarn» sendet trotz aller Tragik auch Zeichen für Hoffnung und Menschlichkeit, die sich nicht wegdiktieren lassen.

18.10.2021

4

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Kommentare

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filmlove

vor 3 Jahren

Ein sehr schöner, menschlicher Film.


anderson65

vor 3 Jahren

Einer der besten Filme die ich in den letzten Jahren gesehen habe.


thomasmarkus

vor 3 Jahren

Gesehen dank Solothurner Filmtage online. Wunderbar poetisch, wen auch tragisch traurig. Und real. So sieht Grenze aus.


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