Soul USA 2020 – 102min.

Filmkritik

Es lebe das Leben!

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

Die Corona-Pandemie fordert ihren Tribut: Mit «Soul» startet zum ersten Mal ein Film der Pixar-Schmiede in den meisten Ländern nicht im Kino, sondern erscheint direkt auf Disneys hauseigenem Streaming-Dienst. Schade, denn dieser ebenso herzerwärmende wie intelligente Animationsstreifen hätte definitiv eine grosse Leinwand verdient.

Dass er tolle Animationsarbeit mit klugen Geschichten und ehrlich berührenden Einsichten verbinden kann, stellte der Regisseur und Drehbuchautor Pete Docter bereits mehrfach unter Beweis. Werke wie Oben und Alles steht Kopf gehören zweifelsohne zu den besten Trickfilmarbeiten der letzten Jahre. Mit seinem neuen Projekt Soul gelingt dem US-Amerikaner abermals ein starker Wurf. Wie kreativ er die grossen Themen «Tod» und «Leben» hier verhandelt, sollte man unbedingt gesehen haben.

Im Mittelpunkt der vor originellen Einfällen überbordenden Erzählung steht der afroamerikanische Aushilfslehrer Joe Gardner (Stimme im Original: Jamie Foxx), der nur eine grosse Leidenschaft kennt: die Jazzmusik. Als er eines Tages erfährt, dass er eine Festanstellung erhalten wird, müsste er eigentlich überglücklich sein. Im Gegensatz zu seiner Mutter Libba (Phylicia Rashad), die sich nichts sehnlicher als einen krisensicheren Job für ihren Sohn wünscht, findet er das Angebot aber gar nicht so verlockend. Immerhin wäre dann wohl sein innigster Wunsch, der Durchbruch als Musiker, endgültig gestorben. Ausgerechnet in diesem Moment erreicht ihn der Anruf seines früheren Schülers Curley (Questlove), der mit der berühmten Saxophonistin Dorothea Williams (Angela Bassett) zusammenspielt und für einen Auftritt dringend einen guten Pianisten benötigt. Joe ist hellauf begeistert und darf sich nach einer furiosen Kostprobe seines Talents über ein Engagement freuen.

Ein Erfolg, den man dem sympathischen und idealistischen Protagonisten von Herzen gönnt. Doch genau an diesem Punkt überrascht «Soul» den Zuschauer mit einer Wendung, die einen zunächst sprachlos macht. Ausgerechnet dann, als die Verwirklichung seines Traumes zum Greifen nahe ist, stürzt der ausgelassene Joe in einen offenen Kanalschacht. Während sein Körper in einem Krankenhaus liegt, findet sich seine Seele plötzlich auf einer Art Rolltreppe in Richtung Jenseits wieder. Kurz vor dem Übergang ergreift der Jazzliebhaber allerdings die Flucht und landet plötzlich in einer geheimnisvollen Welt, die den Namen «Davorseits» trägt. An diesem Ort werden, wie er schnell erkennt, junge Seelen für ihre baldige Reise auf die Erde vorbereitet. Joe soll der Querulantin Nummer 22 (Tina Fey) dabei helfen, ihre Bestimmung zu finden, hofft aber freilich selbst auf eine Chance, in seinen Körper zurückzukehren.

Der Handlungsabriss lässt es bereits erahnen: «Soul» nimmt sich komplexer Fragen zum menschlichen Wesen an und ist für ganz kleine Kinder eher ungeeignet, obwohl es diverse Slapstick-Einlagen gibt und im Mittelteil ein griffiges Verwechslungselement auftaucht. Dass sich der 23. abendfüllende Film aus dem Hause Pixar stärker als andere Arbeiten der Animationsschmiede an ein erwachsenes Publikum richtet, verdeutlicht auch die Zeichnung der Hauptfigur. Joe ist ein mit seinem Dasein nicht ganz zufriedener Mann mittleren Alters.

Pete Docter und seine Ko-Drehbuchautoren Mike Jones und Kemp Powers entführen uns auf eine verrückte und aufregende Reise, an deren Ende eine herrlich lebensbejahende, oft übersehene Botschaft wartet. Einige Wendungen des Plots lassen sich sicherlich vorab erraten. Soul steuert aber mit so viel Charme und so viel aufrichtigen Gefühlen auf sein Ende zu, dass man dem Film nicht böse sein kann. Auch nicht wegen seiner vielleicht etwas zu klassischen Schlusspointe.

Herz und Verstand werden in der Geschichte in besonderem Masse angesprochen. Zu kurz kommt der Humor jedoch nicht. Wunderbar ist etwa die Idee, dass die renitente, das Leben auf der Erde nicht erstrebenswert findende Seele 22 vor ihrer Begegnung mit Joe schon zahlreiche prominente Mentoren verschlissen hat. Weder Muhammad Ali noch Mutter Teresa oder Carl Jung, um nur einige Beispiele zu nennen, waren in der Lage, ihr den Wert einer Existenz auf der Erde zu vermitteln. Immer wieder lustig sind überdies die Auftritte von Terry (Rachel House), einem von Zahlen besessenen Wesen, das über das Tor zum Jenseits wacht und sich nach Joes Flucht an dessen Fersen heftet. Die Berechnungen müssen schliesslich stimmen!

Voller Esprit präsentiert sich «Soul» nicht zuletzt in der Ausgestaltung seiner unterschiedlichen Welten. Das New York, in dem Gardner lebt und arbeitet, sprüht nur so vor bunten, hübschen Details. Noch beeindruckender ist allerdings das Davorseits, das in seiner abstrakten, betont sparsamen Darstellung einen faszinierend-surrealen Gegenpol bietet. Etwas nicht Greifbares machen Docter und seine Animationskünstler auf innovativ-ansprechende Weise plastisch.

10.03.2023

4.5

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Kommentare

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Barbarum

vor 3 Jahren

Der Film hätte tatsächlich die grosse Leinwand verdient gehabt, gerade auch weil er, in einem Medium wie dem Animationsfilm, skurril und mutig die Suche eines Mannes in mittlerem Alter nach dem Lebenssinn thematisiert. Allerdings fällt es leichter das Resultat zu bewundern, als darin tief emotional investiert zu werden, da es scheint, sich diese Suche, besonders im Zusammenhang mit dem Tod, weniger leicht klären lässt, als „Soul“ es vorschlägt. Aber erneut zeigt Pixar eine bahnbrechende Schönheit, die selbst das härteste Herz milde stimmen sollte.Mehr anzeigen


Taz

vor 3 Jahren

Ein erwachsener Film von Pixar, der mehr bietet als nur Slapstick und Witzchen. Manch einer dürfte nach dem Abspann noch ein bisschen sinieren und sein eigenes Leben hinterfragen. Dazu der herrliche Jazz-Sound. Richtig gut!


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